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LAG Hamm bejaht Initiativrecht bei elektronischer Zeiterfassung

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat ein Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems bejaht. Dabei hat es sich in aller Deutlichkeit gegen das Bundesarbeitsgericht positioniert. Mehr noch, scheint das LAG Hamm im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sogar allgemein vom Bestehen eines Initiativrechts auszugehen.

Erst wollte Arbeitgeber elektronische Zeiterfassung, dann der Betriebsrat

In der Sache ging es darum, dass der Arbeitgeber eine elektronische Arbeitszeiterfassung einführen wollte. Hierzu übersandte der Arbeitgeber dem Betriebsrat den Entwurf einer Betriebsvereinbarung. Da eine Einigung zwischen den Betriebsparteien nicht zustande kam, hat der Arbeitgeber von der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung Abstand genommen.

Daraufhin hat der Betriebsrat ein Verfahren zur Einsetzung der Einigungsstelle eingeleitet, deren Gegenstand auf den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur elektronischen Zeiterfassung gerichtet war. Mit anderen Worten: Jetzt wollte der Betriebsrat eine elektronische Zeiterfassung einführen – verkehrte Welt.

Natürlich rügte der Arbeitgeber mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Zuständigkeit der Einigungsstelle. Aus diesem Grund hat die Einigungsstelle das Verfahren einstweilen ausgesetzt, damit die Frage des Initiativrechts des Betriebsrats beim Arbeitsgericht geprüft werden konnte.

Das Arbeitsgericht Minden hat mit Beschluss vom 15.09.2021 den Feststellungsantrag des Betriebsrats,

„dass der Betriebsrat hinsichtlich der initiativen Einführung einer elektronischen Zeiterfassung im Betrieb ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Ziffer 6 BetrVG hat“,

abgelehnt.

Beschluss des Arbeitsgerichts Minden liegt auf einer Linie mit dem Bundesarbeitsgericht

Der ablehnende Beschluss des Arbeitsgerichts Minden kam nicht von ungefähr. Je nach Ausbildungsstand und Interessenschwerpunkt werden Ihnen als Betriebsratsmitglied die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zum Initiativrecht womöglich bekannt sein.

Das Bundesarbeitsgericht hat bereits im Jahre 1989 entschieden, dass ein Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung von technischen Einrichtungen nicht besteht. Es begründete seinen Standpunkt mit Verweis auf die Abwehrfunktion von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Dieses Mitbestimmungsrecht sei als Abwehrrecht ausgestaltet, um Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht von Mitarbeitern zu beschränken. Ein Initiativrecht würde sich außerhalb dieser Zweckbestimmung bewegen, so das Gericht.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat deutliche Kritik geerntet. Auch wir haben unter Berufung auf europarechtliche Rechtsprechung und die europäischen Grundrechte ein Initiativrecht des Betriebsrats letztes Jahr jedenfalls im Hinblick auf die elektronische Zeiterfassung bejaht.

Damit waren wir in prominenter Gesellschaft, weil auch andere Arbeitsrechtler – zum Teil mit einer anderen Begründung – das Bestehen eines Initiativrechts angenommen haben.

Landesarbeitsgericht Hamm bejaht Initiativrecht bei der Einführung technischer Einrichtungen

Gegen den Beschluss des Arbeitsgericht Minden letzte der Betriebsrat Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hamm ein. Und hatte damit Erfolg.

Das Landesarbeitsgericht hat, durchaus überraschend, ein Initiativrecht mit aller Deutlichkeit bejaht. Interessant ist die Begründung des Landesarbeitsgerichts: Es hat auf den Sinn und Zweck der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG insgesamt abgestellt und sich dabei von dem Willen des historischen Gesetzgebers des Betriebsverfassungsgesetzes leiten lassen.

Dabei stellte es heraus, dass lediglich der Gesetzesentwurf der Bundestagsfraktion der CDU/CSU zwischen Mitbestimmungsrechten mit und ohne Initiativrecht unterschied. Diesen Vorschlag hat dann der Ausschuss für Arbeits- und Sozialordnung nicht übernommen. Stattdessen hat er eine einheitliche Vorschrift über die Mitbestimmung in § 87 BetrVG entworfen, wonach bei einzelnen Mitbestimmungsthemen (wie bei § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG) kein Initiativrecht des Betriebsrats bestehen sollte.

Im Übrigen aber, so auch bei der Einführung von technischen Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, sollte es keine Einschränkung des Initiativrechts geben.

Landesarbeitsgericht Hamm spricht Klartext

Das Landesarbeitsgericht hat in den Beschlussgründen zu erkennen gegeben, und zwar nicht gerade subtil, was es von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hält. Im Ergebnis wirft das LAG Hamm dem Bundesarbeitsgericht vor, das Gesetz nicht gedeutet bzw. angewandt zu haben, was seine Aufgabe gewesen wäre. Stattdessen hätte es richterliche Rechtsfortbildung betrieben, ohne rechtsstaatliche Kompetenz.

Klarer kann ein Statement eines Gerichts nicht sein:

Die Auslegung von Gesetzen und richterliche Rechtsfortbildung dürfen sich demnach von dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers – namentlich von der gesetzgeberischen Grundentscheidung – nicht lösen.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das Bundesarbeitsgericht sich als verkappter Gesetzgeber betätigt. Nur selten hat ein Instanzgericht das allerdings in einer Deutlichkeit offengelegt wie das Landesarbeitsgericht Hamm.

Stellungnahme zum Initiativrecht des Betriebsrats

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm verdient Zustimmung. Die Begründung hingegen verdient sogar Applaus, weil das LAG Hamm sich bei seiner Entscheidung von rechtsstaatlichen Prinzipien bei der Auslegung des § 87 BetrVG leiten ließ.

Es musste sodann nicht mehr auf europarechtliche Bestimmungen oder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zurückgreifen, um seinen Rechtsstandpunkt zu verteidigen. Dabei sprechen in europarechtskonformer Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gute Gründe für die Annahme eines Initiativrechts des Betriebsrats – jedenfalls bei der elektronischen Zeiterfassung.

Ein Initiativrecht kann, wenn es um die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung geht, auch mit dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG als Annexkompetenz bei der Regelung von Gesundheitsfragen begründet werden.

Doch wie steht es um die Einführung von anderen IT-Systemen? Die Begründung des LAG Hamm legt nahe, dass nach seiner Auffassung ein Initiativrecht nicht auf die Einführung elektronischer Zeiterfassungssystemen beschränkt ist. Die Begründung scheint allgemeingültig zu sein.