In einer neueren Entscheidung zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz hat das Bundesarbeitsgericht für eine Überraschung gesorgt. Danach beziehe sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG auch auf die Personaleinsatzplanung des Arbeitgebers und die Personalbesetzung. Dem stehe § 92 BetrVG nicht entgegen, obwohl dieser die Beteiligung des Betriebsrates bei der Personalplanung beschränkt.
Einigungsstelle regelt Mindestpersonalbesetzung
Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lag der Spruch einer Einigungsstelle in einer Pflegeeinrichtung zugrunde. Diese wurde im Hinblick auf mehrere Regelungsgegenstände tätig, so unter anderem auch mit der Zielrichtung einer Regelung über eine Mindestpersonalbesetzung. In ihrem darauf folgenden Spruch hat die Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung auf den Weg gebracht, in der konkrete Vorgaben zur Personalbesetzung in bestimmten Stationen getroffen worden sind.
Danach sollte die Arbeitgeberin bei der Dienstplangestaltung zur Vermeidung von gesundheitlichen Gefährdungen den Bedarf an notwendigen Pflegeminuten für jeden Patienten berücksichtigen. Zudem hat die Einigungsstelle in dieser Betriebsvereinbarung auch die Anzahl der Pflegemitarbeiter festgelegt, die in den jeweiligen Schichten und Stationen verfügbar sein müssen. Und schließlich waren Belegungserhöhungen nach dieser Betriebsvereinbarung für den Arbeitgeber nur dann zulässig, sofern die gegebene Zahl an Pflegekräften dies zuließ.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein hat den Einigungsstellenspruch insoweit bereits aufgrund der fehlenden Spruchkompetenz als unwirksam angesehen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG beziehe sich nicht auf die Personaleinsatzplanung des Arbeitgebers. Dies folge, so das Gericht, systematisch aus § 92 BetrVG, wonach die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Personalplanung als Informations-, Beratungs- und Vorschlagsrechte ausgestaltet seien.
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Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Beschluss der Auffassung der Vorinstanz angeschlossen, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam sei. Es stellte jedoch ausdrücklich klar, dass die Einigungsstelle nicht ihre Spruchkompetenz überschritten habe, weil sie Regelungen über eine Mindestpersonalbesetzung getroffen hat. Regelungen zur Personaleinsatzplanung des Arbeitgebers könnten nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmungspflichtig sein.
Rechtssystematische Erwägungen rechtfertigten nach Meinung des Gerichts keine andere Sichtweise. Auch wenn es sich um eine Angelegenheit nach § 92 BetrVG (Personalplanung) handele, werde hierdurch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht ausgeschlossen. Denn die Beteiligung des Betriebsrats bei der Personalplanung nach § 92 BetrVG sei eine andere Angelegenheit als der Arbeits- und Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Auch die Gesetzesmaterialien zur eingeschränkten Beteiligung der Arbeitnehmer in wirtschaftlichen Angelegenheiten stützten den Standpunkt des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein nicht.
Somit war der Einigungsstellenspruch nicht bereits aus diesem Grund unwirksam, stellte sich letztlich aber in anderer Hinsicht als fehlerhaft heraus. So war der Regelungsauftrag an die Einigungsstelle bereits nicht bestimmt genug. Zudem fand eine unzulässige Kumulation von Regelungsaufträgen statt, da die Einigungsstelle sowohl über die Gefährdungsbeurteilung als auch über die eventuell zu treffenden Maßnahmen zu befinden hatte. Dies ist nicht zulässig, da in einem ersten Schritt eine konkrete Gefährdung zunächst einmal festgestellt werden muss.
Einschätzung zur Entscheidung des BAG
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist aus Arbeitnehmer- und Betriebsratssicht begrüßenswert. Soweit die Personaleinsatzplanung Auswirkungen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz hat, kommt danach ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Betracht. Damit wird die Reichweite der zwingenden Mitbestimmung in diesen Konstellationen auf Bereiche erstreckt, die – wie die Personalplanung – grundsätzlich nicht mitbestimmungspflichtig sind.
Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts sind aber nicht „nur“ erfreulich. Ihnen ist vielmehr auch rechtlich zuzustimmen. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat eine Beteiligung der Arbeitnehmer an Maßnahmen zum Schutz ihrer Gesundheit zum Ziel. Dadurch will der Gesetzgeber einen möglichst hohen, an den Interessen der Belegschaft ausgerichteten Arbeits- und Gesundheitsschutz institutionell sicherstellen. Dieses gesetzgeberische Anliegen würde unterlaufen, wenn die im Betriebsverfassungsgesetz angelegte wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Arbeitgebers dem Arbeits- und Gesundheitsschutz Grenzen ziehen würde.
Es mag sein, dass die Gesetzessystematik mit Blick auf die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 92 BetrVG einen anderen Gesetzgeberwillen vermuten lässt. Völlig zu Recht verweist das Bundesarbeitsgericht aber darauf, dass die Personalplanung einerseits und der Arbeits- und Gesundheitsschutz andererseits verschiedene Angelegenheiten sind. Wo eine konkrete Gefährdung festgestellt ist, geht es nicht mehr um die Personalplanung. Es geht um den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer.
Empfehlungen an Betriebsräte zum weiteren Vorgehen
Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Personaleinsatzplanung und Besetzungsregeln sind mit Vorsicht zu genießen. Sie bilden nicht den Schwerpunkt der Entscheidung und sind auch vom Umfang her überschaubar. Auch hat das Bundesarbeitsgericht aufgrund der anderweitigen Schwerpunktsetzung keine Leitplanken für die Mitbestimmung gesetzt, sondern nur zu verstehen gegeben, dass gesetzessystematische Gründe Maßnahmen zur Personalbesetzung im Rahmen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht entgegenstehen würden.
Es ist davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht die rechtlichen Maßgaben in nachfolgenden Entscheidungen konkretisieren wird. Bis dahin kann der Betriebsrat mit guter Begründung davon ausgehen, dass ihm auch in der Frage der Mindestpersonalbesetzung ein weitrechendes Mitbestimmungsrecht zukommt. Auf dieser rechtlichen Grundlage sollte er sich die folgenden Fragen stellen:
- Entspricht das vorhandene Personal dem tatsächlich vorherrschenden Personalbedarf?
- Wie hoch ist die Arbeitsbelastung für die einzelnen Arbeitnehmer und Abteilungen?
- Müssen Arbeitnehmer regelmäßig Überstunden leisten?
- Finden Dienstplan- und Schichtplanänderungen regelmäßig statt?
- Wie hoch ist der Krankenstand im Betrieb?
- Ergibt sich durch knappes Personal eine gesundheitliche Gefährdungslage für Arbeitnehmer?
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Jetzt kontaktierenWenn der Betriebsrat zum Ergebnis kommt, dass im Betrieb der Personalbestand knapp bemessen ist und aufgrund der Umstände eine Gesundheitsgefährdung nicht auszuschließen ist, sollte er tätig werden. In einem ersten Schritt könnte er die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG anstoßen und die Modalitäten mitgestalten. Folgt aus der Gefährdungsbeurteilung eine konkrete Gefährdung aufgrund eines zu geringen Personalbestandes, kann der Betriebsrat nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch eine Mindestpersonalbesetzung als Maßnahme vorschlagen.